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Herausgeber*innen: Maaz, Kai; Baumert, Jürgen; Neumann, Marko; Becker, Michael; Dumont, Hanna
Titel: Die Berliner Schulstrukturreform. Bewertung durch die beteiligten Akteure und Konsequenzen des neuen Übergangsverfahrens von der Grundschule in die weiterführenden Schulen
Erscheinungsvermerk: Münster: Waxmann, 2013
Dokumenttyp: 2. Herausgeberschaft; Sammelband (keine besondere Kategorie)
Sprache: Deutsch
Abstract: In seinem Beschluss vom 25. Juni 2009 hat das Berliner Abgeordnetenhaus die Weiterentwicklung der Berliner Schulstruktur beschlossen. Die Berliner Schulstrukturreform umfasst zwei zentrale Elemente: (1) Die Umstellung auf die Zweigliedrigkeit (Integrierte Sekundarschule und Gymnasium) im Sekundarschulsystem und (2) die Veränderung des Übergangsverfahrens von der Grundschule in die weiterführende Schule. Die Befunde der BERLIN-Studie zur Bewertung der Berliner Schulstrukturreform durch die beteiligten Akteure und zu den Konsequenzen des neuen Übergangsverfahrens von der Grundschule in die weiterführenden Schulen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
(1) Bewertung der Schulstrukturreform und des neuen Übergangsverfahrens durch die beteiligten Akteure
- Die Umstellung auf die Zweigliedrigkeit in der Sekundarstufe I wird vom überwiegenden Teil des professionellen Personals (Lehrerschaft und Schulleitungen) sowie der Mehrheit der Elternschaft zustimmend bewertet. Die Gleichwertigkeit der beiden Bildungsgänge im Hinblick auf die zu vergebenden Abschlüsse (einschließlich des Abiturs) wird von allen Akteuren befürwortet. Gleiches gilt für die Stärkung der Berufsorientierung und des Dualen Lernens sowie den flächendeckenden Ganztagsbetrieb an den Integrierten Sekundarschulen. Mit Blick auf die Abschaffung der Klassenwiederholung an den Integrierten Sekundarschulen findet sich ein differenziertes Meinungsbild.
- Auch das neue Übergangsverfahren und die meisten seiner Einzelregelungen sind unter allen Akteuren entweder völlig unstrittig oder doch weitgehend akzeptiert. Der Großteil der Elternschaft ist mit der besuchten weiterführenden Schule zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Strittig bleibt hingegen der Losentscheid. Diese systemische Wettbewerbskorrektur wird offensichtlich von allen Beteiligten - mit einer gewissen Ausnahme der Schulleiterinnen und Schulleiter an Integrierten Sekundarschulen - als Kontrollverlust und nicht kalkulierbares Risiko betrachtet.
(2) Der Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I: Effekte von Leistung und Herkunft
- Auch in Berlin zeigt sich der generell zu beobachtende Trend steigender Bildungsaspirationen von Eltern. Der Hauptschulabschluss bzw. die Berufsbildungsreife stellen für Eltern keine ernsthafte Option mehr dar. Parallel zur Entwicklung der Bildungsaspirationen vollzieht sich ein langfristiger Anstieg der Empfehlungen für den Übergang zum Gymnasium. Zwischen 2005 und 2011 betrug der Anstieg 8 Prozentpunkte. Trotz dieser erheblichen Veränderung blieben die Gütemaßstäbe (Notendurchschnitte und Testleistungen) bei der Vergabe der Übergangsempfehlung/ Förderprognosen stabil.
- Die Übergangsempfehlungen/Förderprognosen sind auch in Berlin herkunftsabhängig. Mit steigendem Sozialstatus und höherem Bildungsniveau der Familien erhöhen sich auch die Chancen, eine Gymnasialempfehlung zu erhalten. Allerdings handelt es sich bei diesem Zusammenhang von Übergangsempfehlung und Herkunftsmerkmalen um Herkunftseffekte, die über Testleistung und Noten vermittelt sind. Im Unterschied zu Befunden aus anderen Bundesländern, die den Übergang in die Sekundarstufe nach der 4. Jahrgangsstufe vorsehen, ist mit der Übergangsempfehlung in Berlin nach Berücksichtigung der Schülerleistungen keine Verstärkung von sozialen oder kulturellen Disparitäten durch familiäre Herkunftsmerkmale verbunden.
- Parallel zum Anstieg der Gymnasialempfehlungen vollzog sich auf etwas niedrigerem Niveau eine Ausweitung des Gymnasialbesuchs. Zwischen 2005 und 2011 stiegen die Übergangsquoten zum Gymnasium um 6,5 Prozentpunkte - also etwas weniger als die Gymnasialempfehlungen. Wie auch bei den Empfehlungen ist mit diesem Expansionsprozess keine Absenkung von Leistungsstandards verbunden.
- Weiterhin zeigt sich, dass der realisierte Übergang in erster Linie auf den unterschiedlichen Testleistungen, Noten und Übergangsempfehlungen der Schülerinnen und Schüler basiert. Es lassen sich zwar auch Unterschiede in Abhängigkeit der sozialen Herkunft feststellen, diese sind jedoch zu einem großen Teil über die Leistungen vermittelt. Neben diesen leistungsbasierten Herkunftseffekten lassen sich aber auch zusätzliche familiäre Herkunftseffekte finden, die vollständig über die Bildungsaspirationen der Eltern vermittelt sind.
(3) Die Wahl der weiterführenden Schulen im neu geordneten Berliner Übergangsverfahren
- Von der Möglichkeit, drei Schulwünsche abzugeben, machen etwa zwei Drittel der Eltern Gebrauch. 94 Prozent der Eltern gaben wenigstens einen Schulwunsch ab. Bei rund zwei Dritteln der Eltern mit drei Schulwunschangaben fand sich eine klare Schulformpräferenz. Bei etwa einem Drittel fanden sich unter den drei Schulwünschen sowohl Integrierte Sekundarschulen als auch Gymnasien.
- Von den 214 weiterführenden Schulen in Berlin hatten zu Beginn des Schuljahres 2011/12 nach den Erstwünschen der Eltern 85 Schulen (40 %) eine Über- und 129 (60 %) eine Unternachfrage bzw. eine ausgeglichene Nachfrage zu verzeichnen. Unter den Integrierten Sekundarschulen waren Schulen mit eigener gymnasialer Oberstufe am stärksten nachgefragt. Integrierte Sekundarschulen, die aus Hauptschulen bzw. aus der Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen hervorgegangen sind, wiesen eine geringere Nachfrage auf. Eltern leistungsstärkerer Schülerinnen und Schüler wählen in besonderem Maß übernachgefragte Schulen. Dieser Zusammenhang findet sich vor allem für die Integrierten Sekundarschulen.
- An den Gymnasien konnten 92 Prozent der Erstschulwünsche erfüllt werden, an den Integrierten Sekundarschulen 79 Prozent. Betrachtet man alle drei Schulwünsche zusammen, steigt die Quote der erfüllten Wünsche auf 98 Prozent für die Gymnasien und 89 Prozent für die Integrierten Sekundarschulen.
- Über die Realisierung des Schulwunsches entscheidet die Durchschnittsnote der Förderprognose. Nach Berücksichtigung der Durchschnittsnote haben weder Geschlecht noch Sozialstatus noch Bildungsniveau der Eltern noch die ethnische Herkunft einen Einfluss auf die Platzvergabe an übernachgefragten Schulen.
- Auch bei nicht realisiertem Erstwunsch zeigt sich beim überwiegenden Teil der Eltern und Schülerinnen und Schüler eine hohe bis sehr hohe Zufriedenheit mit der besuchten weiterführenden Schule.