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Autor*innen: Kessl, Fabian; Hartmann, Meike; Lütke-Harmann, Martina; Reh, Sabine
Titel: Die inszenierte Familie. Familialisierung als Risikostruktur sexualisierter Gewalt
Aus: Andresen, Sabine; Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.): Zerstörerische Vorgänge: Missachtung und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Institutionen, Weinheim: Beltz Juventa, 2012 , S. 164-177
Dokumenttyp: 4. Beiträge in Sammelwerken; Tagungsband/Konferenzbeitrag/Proceedings
Sprache: Deutsch
Abstract: Den nachfolgenden Überlegungen unterliegt die Annahme, dass Familialisierung eine strukturelle Bedingung für das Auftreten sexualisierter Gewalt in pädagogischen Kontexten darstellt und daher eine Risikostruktur professioneller Interaktionen und Beziehungen in pädagogischen Institutionen beschreibt. Die Zunahme bzw. das Vorherrschen spezifischer Interaktions- und Organisationsmuster in institutionellen pädagogischen Kontexten, deren Charakteristikum darin besteht, zentrale Eigenschaften der Lebensform Familie professionell zu (re-)inszenieren, wird im [...] Text als Familialisierung bestimmt. Zu einer Risikostruktur wird eine in diesem Sinne verstandene Familialisierung, weil sie das Entstehen und die Ausübung sexualisierter Gewalt und möglicherweise gleichzeitig deren Übersehen und Verschweigen erleichtern kann. Darauf weisen nicht nur die bisher vorliegenden empirischen Forschungsergebnisse zu sexualisierter Gewalt hin, die zeigen, dass sexualisierte Gewalt in erhöhtem Umfange in familialen Beziehungskonstellationen vorkommt und auch das - wie sich auf Basis der wenigen vorliegenden Erkenntnisse vorläufig sagen lässt - Auftreten sexualisierter Gewalt in solchen pädagogischen Kontexten erhöht ist, die eine familialisierte Gewalt aufweisen. Diese Kontexte lassen Raum für ein weit über die Erfüllung professionell-spezifischer Aufgaben hinausgehendes längeres Beisammensein von PädagogInnen und ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen - erfordern es teilweise sogar - und tragen damit mindestens zu einer starken Informalisierung von Beziehungen bei. Derartige Familialisierungstendenzen finden wir in der pädagogischen Praxis in Deutschland fest verankert und in verschiedenen Traditionslinien des pädagogischen Diskurses ausgesprochen positiv bewertet. Gegenwärtig hat das spezifische Interaktions- und Organisationsmuster der Familialisierung in zentralen pädagogischen Kontexten wie dem der Schule und der Kinder- und Jugendhilfe eine neue Aktualität erhalten, wie die familienähnliche Ausgestaltung von Ganztagsschulen, eine wieder wachsende Zahl von sozialpädagogischen Wohngruppen oder die Etablierung von Kleinstheimstrukturen verdeutlicht. (DIPF/Orig.)
DIPF-Abteilung: Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung