„Wer sich immer nur an Traditionen und Regeln hält, entwickelt keine Schule“
Seit 2021 hat die Schule an SchuMaS teilgenommen und wurde dabei vom DIPF wissenschaftlich begleitet. Schulleiterin Antje Buschmann und DIPF-Forscher Dr. Jonas Ringler haben in der Zeit eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut: Die beiden duzen sich und besprechen auch mal persönliche Themen.
dipf.de: Frau Buschmann, es ist nun schon einige Tage her, seit Ihre Schule beim Deutschen Schulpreis ausgezeichnet worden ist. Dazu erst einmal herzlichen Glückwunsch! Wie haben Sie diesen Erfolg denn an der Schule gefeiert?
Buschmann: Bei unserer Rückkehr in Meißen wurden wir von mehreren Eltern mit Luftballons und einem bunten Schild begrüßt. Das war einfach überwältigend, zumal wir von der Veranstaltung in Berlin völlig fertig waren. Am nächsten Tag haben wir mit der ganzen Schulgemeinschaft das Video mit der Preisverleihung angesehen, und in dem Moment, als die Questenberg-Schule als Preisträgerin verkündet wurde, wurden Konfetti-Kanonen abgeschossen, es liefen „Ein Hoch auf uns“ von Andreas Bourani und natürlich unser Schulsong „Wir sind die Questis“. Von dem Preisgeld darf der Schülerrat jetzt eine große Party organisieren, und mit dem Kollegium planen wir einen Ausflug, wahrscheinlich gehen wir gemeinsam im Spreewald paddeln.
Aber es war natürlich ein langer Weg dahin. Wo sind Sie denn eigentlich gestartet und wo lagen die Herausforderungen, so dass Sie gesagt haben, wir müssen da was machen?
Buschmann: Ich hatte gerade erst als Schulleiterin in der Questenberg-Schule angefangen, und dann kam auch schon der Anruf meiner damaligen Schulreferentin, ob wir bei SchuMaS mitmachen wollen. Ich war jung, motiviert – und habe Ja gesagt, ohne genau zu wissen, worum es geht. Schulen in schwierigen Lagen sollten gefördert werden, soweit war es klar. Und das trifft auch auf uns zu: Unser Einzugsgebiet ist sozial herausfordernd, es gibt viele Familien mit Migrations- und Fluchterfahrungen, viele Kinder aus schwierigen sozialen und finanziellen Verhältnissen. Außerdem war unsere Schule damals ausgelagert, das Gebäude wurde saniert, das Kollegium war recht alt, und es hatte in vier Jahren fünf Schulleitungen gegeben. Also wenig Konstanz, aber viel Veränderungspotenzial. Rückblickend war das eine riesige Chance.
Allein der Satz „Wir werden wissenschaftlich begleitet“ hat vielen Kritikern den Wind aus den Segeln genommen.
Herr Ringler, Sie haben von Beginn an im Programm „SchuMaS“ Schulen wissenschaftlich begleitet. Wie kann ich mir diese Zusammenarbeit vorstellen?
Ringler: Es gab neben den vier regionalen SchuMaS-Zentren und den Metaclustern vier Inhaltscluster für die wissenschaftliche Begleitung, also 1. Unterrichtsentwicklung Deutsch und Mathematik, 2. Professionalisierung des pädagogischen Personals, 3. Schulentwicklung und Führung 4. Außerunterrichtliches Lernen und Sozialraumorientierung. Aber bevor wir mit den Schulen arbeiten konnten, musste mit den Ländern Vieles noch organisiert und festgezurrt werden, beispielsweise, wie die Schulen in Netzwerken gebündelt werden können. Wir von der Begleitung saßen in Frankfurt am Main und in drei weiteren Regionalzentren, und die Schulen waren über ganz Deutschland verteilt. Und wir starteten mitten in der Corona-Zeit. Die ersten Gespräche fanden telefonisch statt, die erste Tagung online. Trotzdem ist schnell Vertrauen entstanden. Es gab dann regelmäßige Treffen in den Netzwerken und auch überregional. Und über die gesamte Zeit führten wir regelmäßig Reflexionsgespräche mit den Schulleitungen und empfahlen Angebote und Maßnahmen der Inhaltscluster.
Was bedeutete die wissenschaftliche Begleitung für Sie als Schulleiterin?
Buschmann: Für mich war die Zusammenarbeit mit Jonas ein Schlüsselmoment. Das war das erste Mal, dass jemand mich gefragt hat: „Was haben Sie denn mit Ihrer Schule vor?“ Ich hatte bis dahin niemanden, mit dem ich über Schulentwicklung sprechen konnte. Diese Frage war der Anfang von allem. Sie hat unseren Ideen Fundament gegeben und geholfen, Schulentwicklung zu professionalisieren. Allein der Satz „Wir werden wissenschaftlich begleitet“ hat vielen Kritikern den Wind aus den Segeln genommen. Außerdem war die Strukturierung enorm hilfreich – Jonas hat meine Gedanken geordnet, dokumentiert und so nutzbar gemacht. Ohne das hätte ich die Unterlagen für das Kultusministerium oder den Schulpreis nie in dieser Form einreichen können.
Sie erwähnten, dass im Kollegium die Reformfreude anfangs nicht sehr ausgeprägt war…
Buschmann: Ja, unser Kollegium war recht eingefahren und nicht sehr reformwillig. Mit meinen Ideen musste ich immer erst schauen, was überhaupt möglich ist. SchuMaS habe ich zunächst allein organisiert; die Kolleginnen hätten das Projekt damals sicher abgelehnt. Aber das gehört dazu, und manchmal trennen sich eben auch Wege. Bei uns gab es dann auch einige Renteneintritte, und so sind wiederum Lehrkräfte an die Schule gekommen, die offen für Neues waren.
Ist das üblich, dass zunächst nur die Schulleitung involviert ist?
Ringler: Ja. Jede Schule findet da letztlich ihren eigenen Weg. Manche starten mit dem ganzen Kollegium, andere – wie hier – zunächst mit der Leitung. Wichtig ist, dass die Passung zum Schulentwicklungsprozess stimmt: Wo steht die Schule, was braucht sie? Die Arbeit beginnt oft im kleinen, geschützten Rahmen.
Frau Buschmann, in den Leitlinien zum Schulversuch stehen vier Punkte: Rhythmisierung des Schulalltags, fächerübergreifender Unterricht, Leistungsbewertung ohne Noten in den Nebenfächern und die Einbeziehung von Kultur und Digitalität. Wie lässt sich so Vieles auf einmal umsetzen?
Buschmann: Schritt für Schritt. Wir hatten ein Jahr Vorlauf, aber niemand wusste, ob das Konzept überhaupt genehmigt wird. Wichtig war es zu akzeptieren: Ein Versuch heißt, dass niemand weiß, wie es richtig geht. Wir mussten lernen, dass Dinge, die nicht funktionieren, keine Fehler sind, sondern Herausforderungen. Erst als das ganze Kollegium das begriffen hatte, konnten wir produktiv werden. Und man braucht Mut, Dickkopf, Empathie und Spaß. Es gibt viel Gegenwind – aus dem Kollegium, von außen, auch von Eltern oder aus der Politik. Ich musste oft vor Gruppen stehen und unser Konzept verteidigen. Aber wer sich immer nur an Traditionen und Regeln hält, entwickelt keine Schule. Es geht immer auch darum Grenzen auszutesten – und da habe ich oft festgestellt: Niemand maßregelt mich. Meist wird man sogar belohnt, wenn man Dinge anders macht.
Für uns Forschende war der Kontakt mit der Praxis sehr lehrreich. Wir mussten unsere Rolle neu denken – nicht als Expert*innen aus der Wissenschaft, sondern als Partner.
Herr Ringler, in der Wissenschaft spricht man ja immer von den „Gelingensbedingungen“. Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit Schulentwicklung erfolgreich ist?
Ringler: Wichtig sind klare Visionen, Ziele, geeignete zeitliche Gegebenheiten und Formate für den Austausch, eine positive Schulkultur und eine Führung, die Kommunikation und Partizipation ermöglicht. Es kann auch sein, dass die Schulkultur noch gar nicht so positiv ist. An der kann zum Beispiel über das Erarbeiten von gemeinsamen Wertvorstellungen gearbeitet werden. Sehr förderlich ist es auch, wenn Innovationsbereitschaft, eine Feedbackkultur und natürlich gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung in der Schule gelebt werden. Dann braucht es natürlich ein Wissensmanagement, wie hier bei Antje, die nach den verschiedenen Treffen im SchuMaS-Netzwerk ihr neues Wissen in die Schulgemeinschaft weitergegeben hat.
Was hat Ihnen als Forscher der Kontakt mit den Schulen gebracht?
Ringler: Für uns Forschende war der Kontakt mit der Praxis sehr lehrreich. Wir mussten unsere Rolle und unsere Prozesse in den regionalen SchuMaS-Zentren neu denken – nicht als Expert*innen aus der Wissenschaft, sondern als Partner. Der Transfer von Wissen ist hier keine Einbahnstraße, sondern wechselseitig. Rückblickend muss ich sagen, SchuMaS war besonders, weil es erstmals den Raum gab, dass Wissenschaft und Schulleitungen in den von uns konzipierten Formaten einander wirklich auf Augenhöhe begegnen konnten. Dass Wissenschaft und Praxis 4,5 Jahre zusammenarbeiten, hat es vorher so noch nicht gegeben, und durch diese Pionierarbeit hatten wir auch große Freiräume für unsere Zusammenarbeit.
Ganz wichtig dabei ist der Vertrauensvorschuss. Also wir sprechen ja viel über Kooperation, raus aus der eigenen Schule oder, für die Wissenschaft, raus aus dem bekannten Umfeld. Und wenn man dem anderen mit so einem Vertrauensvorschuss und einer positiven, stärkenden Haltung begegnet, dann ist das sehr gewinnbringend für solche Formen der ko-konstruktiven Zusammenarbeit.
Zu guter Letzt: Was lässt sich aus der Schulentwicklung an der ja doch recht kleinen Questenberg-Grundschule auf andere, größere Schulen übertragen?
Buschmann: Man muss mit dem arbeiten, was man hat, und sich bewusst machen, dass man nie alle überzeugt. Da kommt es auf die Größe gar nicht an.
Ringler: Ich durfte ja neben der Schule von Antje auch größere Schulen in Sachsen und Hessen begleiten. Größere Organisationen haben dann einfach auch ein anderes Tempo. Also dort dauern einzelne Schritte dann einfach deutlich länger. Jede Schule muss ihren eigenen Schulentwicklungsprozess gehen, im eigenen Tempo. Wichtig ist, dass die Vision gelebt wird – auch wenn sie noch nicht vollständig erreicht ist. Entwicklung bedeutet, sich zu bewegen, nicht zu warten, bis alle Bedingungen perfekt sind.
Buschmann: Genau. Man darf nicht darauf warten, dass man die Ideen irgendwann mal leben kann, sondern man muss sie zuerst leben, damit die Bedingungen sich dann den Zielen anpassen.
Zu den Personen:
