Social Media im Alltag: Chancen erkennen, Risiken verstehen. Ein DIPF-Impuls
Social Media: Zwischen Chancen und Risiken
Regelmäßig warnen Schlagzeilen vor riskanten TikTok-Challenges, Cybermobbing oder problematischen Schönheitsidealen im Zusammenhang mit Social Media. Doch der Forschungsstand ist weniger eindeutig, als es oft scheint. Was wir wissen: Die Nutzung sozialer Medien kann mit verringertem Wohlbefinden zusammenhängen. Negative Rückmeldungen oder verletzende Kommentare schwächen das Selbstwertgefühl, und der ständige Vergleich mit den scheinbar „perfekten“ Lebenswelten anderer kann die Stimmung und das Selbstbild belasten.
Meine eigene Forschung zeigt: Entscheidend ist nicht, wie lange Kinder und Jugendliche online sind, sondern was sie konsumieren und vor allem wie sie es bewerten und interpretieren. Wer sich stark auf sogenannte „Aufwärtsvergleiche“ einlässt, also das Gefühl entwickelt, andere seien schöner, glücklicher oder beliebter, berichtet eher von schlechter Stimmung und depressiven Symptomen. Es geht hier also nicht um die Plattformen an sich, sondern um die konkreten Inhalte und darum, wie sie bewertet und eingeordnet werden.
Social Media können aber auch Chancen eröffnen, inspirieren, Räume für Kreativität schaffen und bei der Selbstfindung unterstützen. Die Plattformen ermöglichen Austausch und soziale Unterstützung und stärken so das Gefühl von Eingebundenheit und Zugehörigkeit. Außerdem können sie Sichtbarkeit für Minderheiten schaffen und das Selbstwertgefühl fördern.
Warum wir mehr Forschung brauchen
Letztlich gilt, dass viele Fragen der Forschung noch offen sind. Denn der Großteil der Erkenntnisse beschreibt zwar zusammenhängende Faktoren, es bleibt aber häufig unklar, was Ursache und was Folge ist. Sind Kinder und Jugendliche schlecht gelaunt, weil sie viel am Smartphone sind, oder verbringen sie viel Zeit am Smartphone, weil sie schlecht gelaunt sind? Die Realität ist komplex – und vermutlich stimmt beides. Sicher ist: Die Effekte unterscheiden sich stark zwischen einzelnen Personen. Manche Kinder und Jugendliche profitieren von Social Media, andere leiden darunter. Warum genau das so ist und wie hier wirksam unterstützt werden kann, erfordert weitere systematische Forschung.
Eltern zwischen Kontrolle und Freiheit: Vorbilder im digitalen Alltag
In meiner praktischen Ausbildung als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin habe ich erlebt, wie groß die Unsicherheit vieler Eltern im Umgang mit sozialen Medien ist. Manche setzen auf strikte Verbote, aus Sorge vor Risiken. Andere lassen ihren Kindern fast völlige Freiheit, aus Angst, ihnen soziale Teilhabe zu verwehren. Häufig wissen Eltern jedoch nicht, wie Kinder die Medien tatsächlich nutzen, und oft fehlt ihnen ein fundiertes Risikobewusstsein.
Zugleich berichten viele Jugendliche, dass sie (zu) viel Zeit in sozialen Medien verbringen und keine Strategien haben, ihr Verhalten zu ändern. Social Media sind oft so gestaltet, dass Nutzer*innen möglichst lange online bleiben: endloses Scrollen, automatische Video-Wiedergabe, personalisierte Empfehlungen. Diese Mechanismen sprechen direkt unser Belohnungssystem an und fördern impulsives, suchtartiges Verhalten. Dies wiederum steht in Zusammenhang mit schlechtem Schlaf, schwächeren schulischen Leistungen und erhöhter Anfälligkeit für Depressionen. Deshalb braucht es klare Unterstützung – durch Eltern, Schulen und nicht zuletzt staatliche Regulierung, die suchtsteigernde Mechanismen begrenzt.
Eltern sollten Regeln zur Mediennutzung nicht nur aufstellen, sondern auch vorleben. Denn Heranwachsende lernen vor allem am Modell. Wer als Elternteil ununterbrochen am Smartphone hängt, vermittelt die Selbstverständlichkeit permanenter Nutzung. Wer hingegen bewusst Pausen einlegt, Gespräche ohne Smartphone führt und Social-Media-Inhalte gemeinsam reflektiert, zeigt, dass ein anderer Umgang möglich ist.
Schulen tragen ebenfalls eine Verantwortung dafür, Fähigkeiten zum souveränen und reflektierten Umgang mit digitalen Medien zu vermitteln. Dies gelingt nur, wenn Medienbildung fest im Schulalltag verankert ist. Das Ziel sollte sein, Kinder und Jugendliche zu befähigen, digitale Angebote wie soziale Medien eigenkompetent und verantwortungsvoll zu nutzen. Sie sollten Inhalte prüfen, Fake News erkennen, Filter und Algorithmen verstehen und entstehende Vergleiche mit dem vermeintlich besseren Leben anderer einordnen können. Medienbildung stärkt nicht nur die digitale Souveränität, sondern auch kritisches Denken, Selbstschutz und gesellschaftliche Teilhabe.
Fazit: Medienbildung als Kernaufgabe
Der kompetente Umgang mit Social Media ist ein Thema von gesamtgesellschaftlicher Relevanz und aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Pauschale Verteufelungen greifen zu kurz – gefragt ist ein differenzierter Blick. Entscheidend ist nicht ausschließlich die Zeit am Smartphone, sondern vor allem die Qualität der Erfahrungen: Wie Kinder und Jugendliche das Konsumierte interpretieren und verarbeiten, was sie dabei fühlen, lernen und erleben. Dafür braucht es Strategien, die von Wissenschaft, Politik, Elternhaus und Schule gemeinsam getragen werden. Nur wenn alle Verantwortung übernehmen, können wir Kinder und Jugendliche zugleich schützen und befähigen: für psychische Gesundheit, soziale Teilhabe und eine starke Entwicklung im digitalen Zeitalter. Dr. Andrea Irmer
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Über den „Impuls“ des DIPF: Mit diesem Format wenden sich führende Wissenschaftler*innen unseres Instituts an Entscheidungsträger*innen in Politik, Verwaltung und Praxis in der Bildung und an die breite bildungsinteressierte Öffentlichkeit. Die DIPF-Expert*innen bieten fundierte Anregungen und neue Perspektiven zu Herausforderungen im Bildungssystem. Mit diesen Denkanstößen will das Institut Debatten unterstützen oder anregen.