Guinness-Buch und Kettenbriefe

15.01.2015
Auch auf solche Geschichten stößt man im DIPF-Archiv: 1989 entdecken Ärzte beim damals neunjährigen Craig Shergold aus Großbritannien einen bösartigen Hirntumor und geben ihm nur noch wenige Wochen zu leben. Um Craig aufzumuntern, bittet seine Mutter alle Freunde und Bekannten, ihrem Sohn Genesungswünsche auf Postkarten zu schicken. Das Krankenhaus und die Medien tragen die Bitte weiter.

Als es mehr als hundert, dann mehrere zehntausend Karten geworden sind, entsteht die Idee, Craig mit einer möglichst großen Zahl ins Guinness-Buch der Rekorde zu bringen. 1991 ist das Ziel mit über 16 Millionen Karten erreicht. Und auch 1992, jetzt für 33 Millionen Karten, gibt es einen Eintrag in das Guinness-Buch. Craig erhält Genesungswünsche aus aller Welt: unter anderem von Ronald Reagan, Michael Gorbatschow, Madonna oder Arnold Schwarzenegger. Ein amerikanischer Milliardär, dem die Aktion zu Ohren kommt, bezahlt ihm schließlich eine Reise in die USA. Dort kann das Leben des kleinen Jungen durch ein neuartiges Operationsverfahren gerettet werden.

Die Karten aber strömen – zur Verzweiflung der Post und später der Familie – dennoch weiter: Jemand hat Craigs Bitte in einen Kettenbrief verwandelt, der schließlich Deutschland und 1994 auch die Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung erreicht. Aus Craig Shergold ist „Craig Sherhold aus Atlanta“  geworden (andere bekannte Varianten lauten Shelford, Shepard oder Sherwood), und statt um Genesungswünsche wird um Visitenkarten gebeten. Die im Institutsarchiv erhaltenen Unterlagen lassen das Ausmaß der Aktion erahnen: Allein hier sind über fünfzig Postanschriften in Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz verzeichnet, an die der Brief im Frühjahr 1994 versendet wurde. Auch die BBF reicht den Wunsch an neun Berliner Bibliotheken und die Frankfurter Forschungsbibliothek des DIPF weiter.

Ende der 1990er – längst kursiert die Geschichte auch im Internet – erreicht die Zahl der an Craig Shergold geschickten Karten die Marke von 250 Millionen. Die letzte bekannte Schätzung, Shergold ist inzwischen fast dreißig Jahre alt, stammt von 2007 und liegt – dem Magazin der Süddeutschen Zeitung von Anfang 2013 zufolge – bei mehr als 350 Millionen Exemplaren.

Institutsarchiv, Best. 132 Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, Nr. 4