Abiturprüfungspraxis und Abituraufsatz 1882 bis 1972

Der deutsche Abituraufsatz steht im Zentrum des interdisziplinären Projekts „Abiturprüfungspraxis und Abituraufsatz 1882 bis 1972. Wissens(re)präsentation in einem historisch-praxeologischen Pilotprojekt“, das beim Leibniz-Wettbewerb 2016 für die Förderung ausgewählt wurde. Fokussiert werden historische Transformationsprozesse der Prüfungspraxis, die vergleichend für Preußen, Bayern, Baden und Württemberg untersucht werden.

Projektbeschreibung

Das Forschungsprojekt beabsichtigt, eine der zentralen Prüfungen im deutschen höheren Schulwesen, den deutschen Abituraufsatz, historisch-praxeologisch und wissensgeschichtlich zu rekonstruieren und zu analysieren.

Der deutsche Abituraufsatz und mit ihm die entsprechende Prüfungspraxis, das Schreiben des Aufsatzes, entstehen mit der Herausbildung eines „modernen“, meritokratischen, d. h. leistungsbezogenen, Schulsystems, als eine Art Hybrid: Mit dem deutschen Abituraufsatz sollten von Beginn an ganz allgemein Fähigkeiten, wie Urteilskraft, und die Gesamtbildung der Person geprüft werden. Der Bezug zu einem disziplinär verorteten Fachwissen, etwa Wissen über die Geschichte der deutschen Literatur, blieb lose. Der Aufsatz passte sich in seiner langen Geschichte recht unproblematisch ideologischen Strömungen an und zeigte sich in seinen konkreten Themenstellungen – wie der Deutschunterricht insgesamt – anfällig für den Zeitgeist. Zwar haben sich nach und nach Verfahrensweisen der Prüfung herausgebildet, wurden standardisiert und oft auch in geradezu detaillierten Verfahrensvorschriften festgehalten, aber was genau geprüft und nach welchen Kriterien beurteilt werden sollte, blieb bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes weitgehend unklar. Bewertungsschemata und -maßstäbe haben sich dagegen in den Korrektur- und Benotungspraktiken der Lehrer und – später auch – der Lehrerinnen herausgebildet. Möglicherweise entstanden hier allerdings nicht explizierte Rezeptions- und Beurteilungsmuster.

Im Projekt sollen im historischen Längsschnitt und gestützt auf neue Analysemethoden, die sich mit den Verfahren der eHumanities anbieten, Prüfungspraktiken des Abiturs und darin des deutschen Abituraufsatzes in Preußen (bzw. ehemals preußischen Territorien), in Bayern, Baden und Württemberg zwischen 1882 und 1972 rekonstruiert werden. Die Abituraufsätze dieses Zeitraumes sollen im Projekt und in den hier entstehenden Qualifikationsarbeiten einer genauen bildungshistorischen und fachdidaktischen Analyse unterzogen werden. Vor dem Hintergrund des nur losen Bezuges auf ein disziplinäres Fachwissen und die unkonkreten Bestimmungen zu Prüfungsinhalten und Bewertungsmaßstäben interessieren dabei folgende Fragen besonders:

  • In welchem Verhältnis stehen Anforderungen im Abituraufsatz, Curriculum und Unterrichtspraxis zueinander?
  • Verändert sich dieses Verhältnis im Laufe der Zeit?
  • Stehen Erfolg und (soziale) Herkunft der Schüler*innen in einem (engen) Zusammenhang?
  • Dient der deutsche Abituraufsatz damit in besonderer Weise der Herkunftsprivilegierung in einem meritokratisch legitimierten schulischen Prüfungsverfahren?

Um diese Fragen beantworten zu können, wird ein Korpus von digitalisierten und transkribierten Abituraufsätzen mit Lehrerkommentaren und Beurteilungen für den Untersuchungszeitraum – von der Vereinheitlichung der Lehrpläne und Prüfungsordnungen sämtlicher höherer Schulen im Jahr 1882 in Preußen bis zur Reform der Oberstufe 1972 in der Bundesrepublik Deutschland – erstellt und in einer virtuellen Forschungsumgebung mit Metadaten und Annotationen versehen. Grundlage dieses Korpus ist zunächst ein im Archiv der BBF vorhandener Bestand an Prüfungsakten und Abituraufsätzen aus Berlin. Weitere Quellenbestände werden in Bayern, Baden und Württemberg ermittelt, wo im Gegensatz zu Preußen in unterschiedlicher Weise Formen zentraler Prüfungen existierten bzw. zu bestimmten Zeitpunkten eingeführt wurden. Mit Abituraufsätzen aus diesen Beständen wird das Berliner Korpus ergänzt. Die Forschungsumgebung bündelt so einerseits die Arbeitsergebnisse des laufenden Projektes und legt andererseits die Grundlage für eine Nutzung des Korpus, auch für andere Wissenschaftler*innen und spätere Forschung.

Angebundene Qualifikationsarbeiten

Im Zusammenhang mit dem Projekt entstehende Qualifikationsarbeiten:

Finanzierung

Das Projekt wurde im Rahmen des Leibniz-Wettbewerbs 2016, Förderlinie: Innovative Vorhaben gefördert und vom DIPF fortgeführt.

Kooperationen

Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin: Prof. Dr. Michael Kämper-van den Boogaart (Projektleitung)

Projektleitung

Projektteam

Projektdaten

Status:
Abgeschlossenes Projekt
Abteilungen:
Laufzeit:
05/2016 – 12/2021
Finanzierung:
Drittmittelprojekt
Kontakt: Prof. Dr. Sabine Reh, Stellvertretende Geschäftsführende Direktorin des DIPF